Warum und wie nehmen wir unsere Umwelt wahr? Was hilft uns bei der Orientierung? Wie nutzt die Fernsehtechnik die menschliche Wahrnehmung? Diese und weitere Fragen werden im folgenden Artikel von Professor Karl R. Gegenfurtner, Universität Gießen/Abteilung Allgemeine Psychologie.
Farbe wird üblicherweise definiert als diejenige Empfindung, die es uns ermöglicht, zwischen zwei strukturlosen Flächen gleicher Helligkeit zu unterscheiden. Es lohnt sich, auf zwei Aspekte dieser Definition gleich zu Anfang näher einzugehen. Zunächst ist wichtig, daß Farbe eine Empfindungsgröße ist.
Es ist nicht das Licht, das farbig ist ("The rays are not coloured" - Isaac Newton). Das Licht wird zunächst im Auge in Nervenimpulse gewandelt. Erst durch die Verarbeitung dieser Impulse in den nachgeschalteten Hirnstrukturen kommt es zu der Empfindung, die wir “Farbe” nennen. Der zweite wichtige Aspekt der obigen Definition betrifft die Funktion des menschlichen Farbensehens. Obwohl die Frage nach der evolutionären Funktion des Farbensehens noch heftig umstritten ist (Mollon & Jordan, 1988), läßt sich doch mit Sicherheit sagen, daß diese nicht hauptsächlich in der Unterscheidung von Flächen gleicher Helligkeit liegt. Zum einen tauchen solche rein spektralen Unterschiede von Oberflächen in unserer Umgebung nur äußerst selten auf. Zum anderen konnte in zahlreichen Untersuchungen in den letzten 20 Jahren gezeigt werden, daß die Unterscheidung von Flächen gleicher Helligkeit (“Isoluminanz”) für das menschliche visuelle System eine relativ schwierige Aufgabe darstellt (Shapley, 1990). Einen Hinweis auf die Rolle der Farbinformation bei der Wahrnehmung natürlicher Szenen gibt Abbildung 1. Fast alle Objekte unserer Umwelt weisen unter natürlichen Beobachtungsbedingungen eine unregelmäßige Helligkeitsverteilung (Textur) auf. Es ist oftmals sehr schwer, Texturen natürlicher Objekte voneinander abzugrenzen, z.B. wenn wie bei Abb. 1 eine Blüte von Blättern unterschieden werden soll. Die Farbinformation ermöglicht uns, diese Unterscheidungen schnell und effizient zu treffen (Gegenfurtner & Rieger, 2000).
Farbe wird daher besser definiert als diejenige Empfindung, die es uns erlaubt, Objekte leicht voneinander zu unterscheiden, die auf Grund ihrer Textur nur schwer unterscheidbar sind.
Abb. 1: Photographie einer Szene mit Blumen. Links das Original, in der Mitte eine Schwarz-weiß-Version, rechts eine isoluminante Version, bei denen allen Bildpunkten dieselbe Helligkeit zugeordnet wurde.
Im folgenden wird zuerst auf die physikalischen Eigenschaften der Reize eingegangen, die im menschlichen visuellen System Farbempfindungen auslösen. Anschließend werden die wichtigsten Schritte der Verarbeitung in der Netzhaut durch die drei Typen von Photorezeptoren und in den anschließenden Gegenfarbkanälen besprochen. Schließlich wird auf die Verarbeitung der Farbinformation im visuellen Kortex eingegangen. Während die ersten Stufen der Farbverarbeitung in der Netzhaut und den retinalen Ganglienzellen wohl besser als jeder andere Aspekt der visuellen Wahrnehmung erforscht sind, ist über höhere Verarbeitungsmechanismen, die semantische oder emotionale Aspekte der Farbe betreffen, bisher nur wenig bekannt.
1. Retinale Verarbeitung
1.1. Licht und Farbe
Die physikalische Grundlage für die Farbwahrnehmung ist elektromagnetische Strahlung mit einer Wellenlänge in einem eng umgrenzten Bereich von ca. 400 bis 700 Nanometer. Strahlung in diesem Wellenlängenbereich ist nur deshalb sichtbar, weil wir Rezeptoren in der Netzhaut des Auges besitzen, deren Pigmente durch Licht chemisch verändert werden können. Sie unterscheidet sich ansonsten in keiner Weise von anderen Strahlungen, wie z.B. Radiowellen, Infrarot-, Ultraviolett-, Röntgen- oder Gammastrahlen. Ein Großteil der Sonnenstrahlung, die die Erdoberfläche erreicht, liegt im sichtbaren Bereich. Daher ist anzunehmen, daß sich unser Farbsehsystem im Laufe der Entwicklung optimal an die Gegebenheiten unserer Umwelt angepaßt hat.
Das Spektrum des in das Auge fallenden Lichts hängt von zwei Faktoren ab. Von der Spektralverteilung der Beleuchtungsquelle, und von der Reflektanz der Objekte, über die das Licht ins Auge reflektiert wird. Nur ein Teil des auf ein Objekt fallenden Lichts wird reflektiert. Der andere Teil der Strahlung wird absorbiert und zumeist in Wärmeenergie umgewandelt. Dunklere Objekte absorbieren mehr Licht und erwärmen sich daher stärker. Das ins Auge gelangende Licht ist das Produkt aus Beleuchtung und Reflektanz, so daß diese beiden Faktoren anschließend nicht mehr getrennt werden können. Ein rötlicher Farbeindruck kann danach gleichermaßen durch rötliche Beleuchtung eines weißen Stück Papiers, oder durch weiße Beleuchtung eines rötlichen Stück Papiers zustandekommen. Obwohl mathematisch beides zur gleichen Wellenlängenverteilung führt, kann unser visuelles System zumeist doch Rückschlüsse auf die Reflektanz der Objekte ziehen. Diese Leistung, die durch die Ambiguität von Beleuchtung und Reflektanz notwendig wird, wird “Farbkonstanz” genannt. Der Vorteil der Farbkonstanz liegt darin, daß die Reflektanz eine invariante Eigenschaft der Objekte ist, und sich daher zur Objekterkennung sehr gut eignet.
Farbe ist nicht gleich Wellenlänge. Während monochromatisches Licht zwar unter neutralen Beobachtungsbedingungen immer die gleiche Farbempfindung auslöst, ist die umgekehrte Zuordnung nicht möglich. Natürlich auftretende Objekte reflektieren immer Licht über einen weiten Bereich von Wellenlängen. Der relative Anteil in den verschiedenen Wellenlängenbereichen bestimmt letztendlich, welche Farbe gesehen wird. Des weiteren kann das Umfeld auch massive Einflüsse auf die Farbwahrnehmung haben.
1.2. Verarbeitung in den Photorezeptoren
Im Auge wird das Licht von Photorezeptoren absorbiert. Es gibt zwei Klassen von Photorezeptoren: Stäbchen und Zapfen. Stäbchen sind sehr lichtempfindlich und ermöglichen das Sehen bei Dunkelheit und in der Dämmerung. Da alle Stäbchen dieselbe spektrale Absorption aufweisen, können sie nicht zwischen Wellenlängen- und Intensitätsunterschieden diskriminieren. Farbunterscheidungen sind daher beim Stäbchensehen nicht möglich. Unter Tageslichtbedingungen sind die Stäbchen vollständig gesättigt und unfähig Information zu verarbeiten. Dann sind die weniger lichtempfindlichen Zapfen aktiv.
Eine ganz besondere Form der genetisch bedingten, totalen Farbenblindheit ist die Stäbchenmonochromasie. Dabei sind nur Stäbchenphotorezeptoren in der Netzhaut vorhanden, was zu einer ganzen Reihe von Symptomen wie z. B. Photophobie, einer extrem schlechte Sehschärfe und massiven Fixationsproblemen führt. Diese Form der Farbenblindheit wurde von Oliver Sacks (1997) in dem Roman “Insel der Farbenblinden” beschrieben. Eine beeindruckende, subjektive Darstellung aus der Sicht eines Stäbchenmonochromaten findet sich auch in Nordby (1990).
Von den Zapfenphotorezeptoren gibt es drei verschiedene Arten. Nach dem Spektralbereich ihrer höchsten Empfindlichkeit werden sie lang-, mittel-, und kurzwellenlängen-sensitiv genannt, oft auch nur kurz Rot-, Grün- und Blauzapfen. In Abbildung 2 sind die Absorptionsspektren dieser drei Zapfenarten dargestellt. Man erkennt, daß alle drei Typen über einen großen Wellenlängenbereich hinweg Licht absorbieren. Die Kurzbezeichnungen sind also irreführend, vor allem wenn man berücksichtigt, daß das Maximum für die Rotzapfen in dem Wellenlängenbereich liegt, den wir als gelb wahrnehmen. Das Maximum der Blauzapfen liegt in einem Bereich, der eher violett aussieht als blau. Da sich diese Bezeichnungen aber eingebürgert haben, werden wir sie hier der Einfachheit halber auch beibehalten. Es muß aber nachdrücklich betont werden, daß andere mit R, G, B bezeichnete Farbsysteme, wie z.B. das C.I.E. RGB System, oder auch die Rot-, Grün- und Blauphosphore von Farbbildschirmen nichts oder nur sehr wenig mit den Absorptionseigenschaften der Zapfen gemeinsam haben.
Abb. 2: Spektrale Absorptionskurven der menschlichen Rot-, Grün- und Blauzapfen.
Aus Abbildung 2 ist auch ersichtlich, daß die Absorptionsspektren für die Rot- und Grünzapfen sehr ähnlich sind. Die Absorptionsgipfel sind nur um ca. 30 Nanometer verschoben. Dies hat evolutionäre Gründe: diese zwei Zapfentypen sind erst vor entwicklungsgeschichtlich relativ kurzer Zeit aus einem gemeinsamen Urzapfen entstanden. Die Absorption der Zapfen hängt von ihrem Sehfarbstoff ab, dessen Proteine genetisch bestimmt sind. Jeremy Nathans und seinen Mitarbeitern ist es gelungen, die Gene zu identifizieren, die die Ausbildung dieser Proteine kodieren (Nathans, 1992). Dabei hat sich herausgestellt, daß sich die Aminosäuresequenzen für das Rot- und das Grünpigment nur an wenigen Stellen unterscheiden (< 2%).
Aus der Tatsache, daß die Zapfen das Farbensehen ermöglichen, wird oftmals der falsche Schluß gezogen, daß die Stäbchen für das Helligkeits- oder Schwarz-weiß-Sehen zuständig sind. Das stimmt nicht! Unter Tageslichtbedingungen liefern die Stäbchen keinerlei brauchbare Signale. Sie sind nur beim Dämmerungs- und Nachtsehen, z.B. bei Mondlicht, aktiv.
Ein wesentlicher Grund dafür, daß die Genetik des Farbensehens so gut erforscht ist, liegt darin, daß sich die Gene für die Rot- und Grünpigmente auf dem X-Chromosom befinden. Fehlt eines dieser Gene, dann kommt auch der entsprechende Zapfentyp nicht vor. Man spricht von Rot-Grün-Blindheit. Da Männer nur ein X-Chromosom besitzen, tritt diese genetisch bedingte Art von Farbensehstörung bei Männern sehr viel häufiger als bei Frauen. Tabelle 1 gibt eine Ubersicht über die relative Häufigkeit dieser Störung in der westeuropäischen Bevölkerung. Interessanterweise wird eine solche Farbenblindheit oftmals erst sehr spät oder nur zufällig bemerkt. Der entscheidende evolutionäre Vorteil, der sich aus dem dritten Zapfentyp ergibt, ist noch weitgehend unklar (siehe Mollon & Jordan, 1988)! Es gibt mehrere Hypothesen wonach sich die Unterscheidungsfähigkeit zwischen rot und grün hauptsächlich zum Auffinden reifer roter Früchte zwischen grünen Blättern eignet. Es ist aber mittlerweilen erwiesen, daß sich für Rot-Grün-Blinde die Struktur von natürlichen Szenen nicht wesentlich von der für normal Farbsichtige unterscheidet. Andere Formen von genetisch bedingter Farbenblindheit treten äußerst selten auf.
Geschlecht | Anzahl |
Rot-Zapfen (Protan) | Grün-Zapfen (Deutan) | ||
Anomalie | Anopia | Anomalie | Anopia | ||
männlich | 45,989 | 1.08 | 1.01 | 4.63 | 1.27 |
weiblich | 30,711 | 0.03 | 0.02 | 0.36 | 0.01 |
Tabelle 1: Relative Häufigkeiten (in %) von genetisch bedingten Rot-grün Farbsehsörungen. Rot-grün- Blindheit (Anopia) taucht bei ca. 2.3% der männlichen Bevölkerung Europas auf. Rot-grün-Störungen (Anomalie) treten bei weiteren ca. 5.7% auf (nach Sharpe et al., 1999, Tabelle 1.4).
Die Zapfen sind auf der Netzhaut zu einem unregelmäßigen Mosaik angeordnet. Die Dichte ist in der Fovea am höchsten und nimmt zur Peripherie hin ab. In der Foveola (den zentralen 30') befinden sich nur Rot- und Grünzapfen auf. Blauzapfen gibt es nur in der peripheren Retina, aber auch dort treten sie mit einer geringeren Dichte auf. Sie machen insgesamt nur 9% aller Zapfen aus. Da die Sehschärfe von der Dichte der Zapfen abhängt, ist die Auflösung für Muster, die gezielt Blauzapfen anregen, relativ gering. Diese geringere Auflösung wiederum scheint aber perfekt an die Optik des Auges angepaßt zu sein. Da Licht unterschiedlicher Wellenlänge wegen der unterschiedlich starken Brechung nicht gleichzeitig auf der Netzhaut fokussiert werden kann, entsteht vor allem bei kurzwelligem Licht eine retinale Unschärfe, die dem größeren Abstand zwischen den Blauzapfen entspricht. Das Zapfenmosaik ist auch in anderer Hinsicht sehr gut der Optik des Auges angepaßt. Dort wo die Zapfendichte geringer ist als aufgrund des optischen Signals notwendig (in der Peripherie), sorgt die unregelmäßige Anordnung der Zapfen dafür, daß keine Wahrnehmungstäuschungen (durch “Aliasing”) entstehen.
Die Frage nach der relativen Anzahl von Rot- und Grünzapfen hat die Farbforscher in den letzten zehn Jahren intensiv beschäftigt, wobei die Ergebnisse verschiedener Methoden zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen geführt haben. Vor kurzem gelang es jedoch Roorda & Williams (1999), das Photorezeptormosaik der menschlichen Netzhaut direkt abzubilden (siehe Abb. 3). Es zeigten sich große Unterschiede zwischen verschiedenen Probanden, und auch letztendlich, daß das Verhältnis von Rot- und Grünzapfen keinerlei Einfluß auf subjektive Farbeindrücke besitzt.
Es wird oftmals behauptet, daß im peripheren Gesichtsfeld keine Farbwahrnehmung möglich ist. Zu Demonstrationszwecken wird dann ein buntes Objekt von der Fovea weg bewegt, bis die Farbe des Objekts nicht mehr erkannt wird. Dies zeigt jedoch nur, daß die räumliche Auflösung des Farbsehsystems geringer ist als die des Helligkeitssystems. Wenn die Objekte nur ausreichend groß sind, dann kann auch deren Farbe bei peripherer Darbietung erkannt werden.
1.4. Gegenfarben
Die von den Zapfen übermittelten Signale werden noch in der Netzhaut weiterverarbeitet, um die Weiterleitung der Signale in den visuellen Kortex möglichst optimal zu gestalten. Diese Verarbeitungsstufe läßt sich am besten als Verminderung der Redundanz der Aktivitäten benachbarter Zapfen charakterisieren. Die Zapfensignale weisen sowohl eine räumliche als auch eine farbliche Redundanz auf.
Räumliche Redundanz bezeichnet den Sachverhalt, daß benachbarte Bildpunkte meistens eine ähnliche Intensität aufweisen. Aus der Intensität an einem Bildpunkt läßt sich relativ genau die Intensität der benachbarten Bildpunkte vorhersagen. Werden hingegen die Differenzen zwischen benachbarten Bildpunkten betrachtet, so verschwindet diese Korrelation. Diese Art der vom visuellen System durchgeführten Differenzenbildung wird oftmals auch als “laterale Hemmung” bezeichnet. Implementiert ist sie durch die konzentrischen rezeptiven Felder der Ganglienzellen, in denen Zentrum und Umfeld antagonistisch organisiert sind.
Eine weitere Form der Redundanz in den Zapfen ergibt sich daraus, daß die Absorptionsspektren der Rot- und Grünzapfen sehr ähnlich sind. Daher ist die Aktivität der beiden Zapfentypen hoch korreliert. Um diese Signale zu dekorrelieren und damit zu optimieren, wird die Aktivität in sogenannten Gegenfarbkanälen, oftmals auch als “kardinale Farbrichtungen bezeichnet, weitergeleitet. Im Helligkeitskanal wird die Summe der Signale aus Rot- und Grünzapfen (R+G) gebildet, im Rot-Grün-Kanal die Differenz der beiden (R-G). Im Blau-Gelb-Kanal schließlich wird die Differenz aus dem Signal der Blauzapfen und der Summe der Rot- und Grünzapfen gebildet (B‑(R+G)). Diese Verrechnung der Farbsignale erfolgt in einem Netzwerk aus Horizontal-, Bipolar- und Ganglienzellen. Während über die Ergebnisse dieser Berechnung relative Klarheit herrscht, ist die genaue Implementierung derzeit Gegenstand heftiger Diskussion. Es scheint so zu sein, daß die drei Gegenfarbkanäle nicht nur funktionell, sondern auch anatomisch unterschiedlich sind (siehe Gegenfurtner & Sharpe, 1999).
Abb. 4: Verarbeitung in den Gegenfarbkanälen. Links das Original, in der Mitte das Bild, wie es vom Rot-Grün-Kanal gesehen wird. Rechts das Bild, wie es vom Blau- Gelb-Kanal gesehen wird.
Eine wichtige Implikation der Gegenfarbkanäle ergibt sich aus der starken Überlappung der Absorptionsspektren von Rot- und Grünzapfen. Es ist sehr schwierig, den Rot-Grün- Kanal so zu aktivieren, daß die Differenz von Rot und Grün sich ändert, aber die Summe (die Helligkeit) konstant bleibt. Die größtmögliche Modulation der Zapfensignale bei einer solchen "isoluminanten" Reizung bleibt daher weit hinter der 100%-igen Modulation zurück, die durch Helligkeitskontraste bewerkstelligt werden kann. Auf Bildschirmen beträgt diese maximale isoluminante Modulation bei mittleren Intensitäten nur ca. 10-15%! An dieser Stelle ist es auch wieder wichtig, auf den Unterschied zwischen Zapfen und Bildschirmphosphoren hinzuweisen. Letztere können nämlich auch bei Isoluminanz zu 100% moduliert werden. Für das Studium des visuellen Systems ist das allerdings irrelevant.
Die Einteilung der Signalverarbeitung in zwei Zonen, der anfänglichen Verarbeitung in drei verschiedenen Zapfentypen, gefolgt von drei Gegenfarbkanälen, vereint die Theorien der Farbwahrnehmung von Helmholtz und Hering. Allerdings hatten beide dieser eminenten Forscher nicht ganz recht, was die Details betrifft. So nahm Helmholtz an, daß die Absorptionsspektren der Zapfen sich nur geringfügig überlappen, was für die Rot- und Grünzapfen gerade nicht zutrifft. Hering nahm an, daß die Gegenfarben den sogenannten Urfarben entsprechen, also denjenigen Farben, die von uns als reines Rot, Grün, Blau, oder Gelb wahrgenommen werden. Auch dies ist nicht richtig. Während das Rot der “kardinalen Farbrichtungen” der Ganglienzellen in etwa einem Urrot entspricht, sieht die Gegenfarbe dazu blau-grün aus. Der Blau-Gelb-Kanal ist ebenfalls verschoben: dem reinem Gelb entspricht ein grünlicher Gelbton und dem Blau ein Violett. Abbildung 4 zeigt wie die Gegenfarbkanäle aktiviert werden.
Für die folgende Diskussion der Wahrnehmungsleistungen des Farb- und Helligkeitssystems ist es allerdings sehr wichtig, solche peripheren Faktoren von zentralen Unterschieden in der Verarbeitung zu trennen. Wir werden zunächst auf das Zusammenspiel von Farbe mit anderen visuellen Reizattributen eingehen, dann auf die Verarbeitung des Farbsignals an sich. Als Abschluß folgen einige Bemerkungen zur Farbkonstanz.
2. Kortikale Farbmechanismen
Ein allgemeines Prinzip kortikaler Informationsverarbeitung ist eine zunehmende Spezialisierung der Neurone. Dies trifft auch für die kortikale Verarbeitung der Farbe zu. In der Netzhaut gibt es genau drei Klassen von Neuronen, die den kardinalen Farbrichtungen entsprechen (siehe Abb. 4). Die Antworten dieser Neurone sind linear. Daher läßt sich die Antwort auf beliebige Reize exakt vorhersagen durch den bevorzugten Farbreiz eines Neurons. Im primären visuellen Kortex (V1) gilt dieses Prinzip der Linearität auch, aber hier finden sich Präferenzen für beliebige Farben. Die Einschränkung auf die drei kardinalen Richtungen entfällt. Interessant ist, daß bisher kein neuronales Substrat für die sogenannten “Urfarben” nachgewiesen werden konnte. Die Vielfalt an Farbpräferenzen, die in V1 und V2 beobachtet werden kann, entspricht unserer Fähigkeit eine große Anzahl an Farben unterscheiden zu können.
Im sekundären visuellen Kortex (V2) treten dann auch Neurone auf, deren Reizantwort im spektralen Bereich nichtlinear ist. Sie antworten nur auf einen bestimmten Farbton, da ihre chromatische Bandbreite sehr eng ist. Zudem ist es in den höheren extrastriären Arealen (V2, V3, V4) auch so, daß Neurone zunehmend seltener auf reine (isoluminante) Farbunterschiede antworten. Da solche isoluminanten Unterschiede, wie schon eingangs erwähnt, nicht sehr oft in unserer Umwelt vorkommen, wäre eine Spezialisierung auf die Verarbeitung dieser Reize auch nicht sehr sinnvoll.
2.1. Das Farbzentrum im Gehirn?
Im Zentrum derzeitiger Forschung auf dem Gebiet der Farbwahrnehmung steht wohl die Frage, ob es im Gehirn eine bestimmte neuronale Strukur gibt, die vornehmlich für die Verarbeitung von Farbinformation zuständig ist. Eine solche “parallele” Verarbeitung wurde in der Vergangenheit auf Grund psychophysischer, physiologischer, und klinischer Befunde postuliert (Livingstone & Hubel, 1988; Zeki, 1990).
So ist z. B. das Erkennen von Formen und Strukturen bei ausschließlich durch Farbe definierten Reizen sicherlich anders als bei Helligkeitsmustern (Livingstone & Hubel, 1988). Dies läßt sich schon aus den oben erwähnten peripheren Faktoren folgern. Der höchstmögliche Kontrast im Rot-Grün-Kanal ist wegen der großen Ähnlichkeit von Rot- und Grünzapfen sehr stark eingeschränkt. Wegen optischer Limitationen (chromatische Aberration) können hohe Ortsfrequenzen vom Farbsystem nicht übertragen werden. Letzteres wird auch bei der Übertragung von Farbfernsehbildern ausgenutzt, wo die Farbinformation mit einer sehr viel geringeren Bandbreite gesendet wird. Viele der Demonstrationen, die eine getrennte Verarbeitung von Farbe und anderen visuellen Reizattributen nahezulegen scheinen, beruhen auf derartigen peripheren, retinalen, Unterschieden. Die physiologische und anatomische Trennung in unterschiedliche Verarbeitungskanäle scheint dabei weitaus geringfügiger zu sein als ursprünglich angenommen (siehe Lennie, 1998).
Studien mit bildgebenden Verfahren zeigen oft eine erhöhte, farbspezifische Aktivierung in einem Bereich des menschlichen ventralen Okzipitalkortex, der oftmals “V4” genannt wird (Zeki, 1990; Hadjikani et al., 1998; Engel, Zhang & Wandell, 1997). Die Aktivierung scheint sich allerdings qualitativ nicht von der im primären visuellen Kortex zu unterscheiden. Es kann also nicht geschlossen werden, daß in dem entsprechenden Areal nur Farbinformation verarbeitet wird, oder daß andere Areale keine wichtigen Beiträge zur Verarbeitung von Farbinformation liefern. Interessanterweise handelt es sich dabei jedoch um denselben Bereich, der auch oftmals bei Patienten betroffen ist, die stark erhöhte Schwellen für Farbunterscheidung aufweisen (“zerebrale Achromasie”). Viele dieser Patienten weisen jedoch noch weitere Wahrnehmungsstörungen auf, z.B Störungen der Gesichtserkennung oder eine allgemein verschlechterte Kontrastempfindlichkeit. “Reine” Störungen der Farbwahrnehmung sind selten (Zihl & von Cramon, 1986).
2.2. Farbkonstanz
Ein Thema, das Wahrnehmungsforscher und Informatiker in jüngster Zeit gleichermaßen stark interessiert hat, ist die Farbkonstanz. Die Effekte von Beleuchtung und Reflektanz lassen sich nicht trennen, da das auf die Rezeptoren fallende Licht das Produkt beider Faktoren ist. Trotzdem scheint es uns möglich zu sein, Objekte unter sich wechselnden Beleuchtungsbedingungen immer mit der gleichen Farbe wahrzunehmen. Abbildung 5 zeigt eine Waldlandschaft unter drei verschiedenen Beleuchtungen, wie sie z.B. morgens, mittags und abends aussehen könnte. Wenn wir durch die Wiesen wandern, erscheint uns das Gras meist im selben Grünton, obwohl der Farbeindruck auf den Bildern deutlich unterschiedlich ist.
Abb. 5: Darstellung einer natürlichen Szenen, wie sie unter drei verschiedenen Beleuchtungsbedingungen aussieht. Die Veränderung von morgens (links), mittags (mitte) und abends (rechts) erfolgt hauptsächlich entlang der blau-gelben Gegenfarbachse.
Eine Unmenge an Algorithmen wurde vorgeschlagen, um diese Farbkonstanz zu erklären. Mittlerweilen zeichnet sich ab, daß das menschliche Sehsystem eine ganze Reihe von Hinweisreizen benutzt um Farbkonstanz zu erzielen (Kraft & Brainard, 1999). Am wichtigsten ist dabei die Tatsache, daß die Mittelwertsfarbe in einer Szene sehr stark von der Beleuchtung abhängt, und daß Beleuchtungsänderungen meistens graduell vonstatten gehen, während Reflektanzänderungen oft abrupt sind.
Dieser Unterschied in den räumlichen Eigenschaften von Beleuchtung und Reflektanz kann am besten genutzt werden, wenn größere Flächen für eine Normalisierung benutzt werden. Dies erfordert daher rezeptive Felder mit entsprechender Größe. Neurone mit diesen Eigenschaften wurden in V4 gefunden, und sie scheinen auch relativ komplexe Interaktionen von Zentrums- und Umfeldfarbe aufzuweisen. Wie daraus aber dann die Reflektanz von Objekten bestimmt wird, ist noch weitgehend unklar. Neurone, die auf Reflektanz antworten, wurden bislang nur selten und vereinzelt gefunden (Zeki, 1980).
Störungen der Farbkonstanz wurden bislang in erster Linie an Probanden untersucht, die bereits ander massive Farbsehstörungen aufweisen. In den Arbeiten von Rüttiger et al (1999) und Clarke et al. (1999) sind aber Patienten beschrieben, deren Farbkonstanzleistungen gestört sind, obwohl sie keinerlei andere erkennbaren Störungen in ihrer Farbwahrnehmung aufwiesen. Über das neuronale Substrat der Farbkonstanzleistung läßt sich noch keine Schlußfolgerung ziehen.
2.3. Kognition, Emotion und Farbe
In der weiteren kognitiven Verarbeitung der Farbinformation werden verschiedene Farbnuancen zu Kategorien zusammengefaßt. Von diesen Kategorien gibt es ca. 7 bis 11, die sogar über größere Kulturunterschiede hinweg relativ konstante Bezeichnungen aufweisen (siehe Hardin & Maffi, 1997). Ein neuronales Substrat für derartige Kategorien wurde bislang noch nicht entdeckt. Zumindest in den frühen visuellen Verarbeitungsstufen, bis hin zum extrastriären Areal V4, findet sich keine bevorzugte Repräsentation dieser Kategorien. Die Zuweisung von Farbnamen zu Objekten scheint daher auf einer sehr hohen Verarbeitungsebene abzulaufen, während einfache Farbunterscheidungen schon durch Schaltkreise im primären visuellen Kortex erklärt werden können. Dies wird auch durch Ergebnisse aus der Entwicklung belegt. Kinder können Farben schon im Alter von ca. 4 Monaten unterscheiden, während die richtige Benennung erst sehr viele später, im Alter von 2-4 Jahren erlernt wird (Bornstein, 1985).
Noch wichtiger als kognitive erscheinen die emotionalen Aspekte, die oftmals mit der Wahrnehmung von Farben einhergehen. Eine enge Vernetzung der kortikalen Farbsehmechanismen mit limbischen Strukturen kann daher angenommen werden. Der Großteil dieser emotionalen Reaktionen ist sicherlich erlernt und hängt von kulturellen Faktoren ab. Es scheint aber auch einige universelle Phänomäne zu gebe. So geht die Farbe “rot” generell einher mit gesteigerten emotionen Reaktionen, und ist in nahezu allen Kulturen der erste, wichtigste Farbname.
Zusammenfassung
Farbe wird wahrgenommen, wenn Licht im Auge von Photorezeptoren absobiert und in Nervenimpulse umgewandelt wird, die dann im Gehirn zu Empfindungen interpretiert werden. In der Netzhaut unterliegen drei verschiedenen Typen von Zapfenphotorezeptoren, die jeweils über weite Bereiche des Spektrums empfindlich sind, der Farbwahrnehmung. Die von den Zapfen vermittelten Signale werden noch in der Netzhaut in den retinalen Ganglienzellen zu den effizienteren Gegenfarbsignalen umkodiert, von denen es wiederum drei Klassen gibt. Im visuellen Kortex entsteht dann aus diesen Signalen eine Vielfalt von Mechanismen, die ganz spezifisch für bestimmte Farbkombinationen empfindlich sind. Auf diesen Mechanismen basieren Fähigkeiten wie z.B. Farbunterscheidung oder Farbkonstanz. Auf einer höheren, kognitiven Ebene werden aus den Farben dann eine kleine Anzahl von Kategorien (ca. 7-11) gebildet, die in nahezu allen Kulturen und Sprachen gleich sind. Die wichtigsten Ursachen für Störungen der Farbwahrnehmung sind der genetisch bedingte Ausfall eines Zapfentypen, und erworbene Farbenblindheiten, die auf kortikalen Läsionen beruhen.
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