Ein interessanter Artikel von Andreas Niemand zur räumlichen Wiedergabe von Audiomaterial sind Stereo- und Surroundanlagen - mit freundlicher Genehmigung vom Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltung, Ilmenau.
Zur räumlichen Wiedergabe von Audiomaterial sind Stereo- und Surroundanlagen gebräuchlich. Diese vermitteln den Eindruck eines räumlichen Klanges durch Anordnung von sogenannten Phantomschallquellen. Diese Klangpositionen sind nur eine Täuschung des menschlichen Ohres. Mittels verschiedener Effekte des binauralen Hörens (Laufzeitunterschiede, Pegeldifferenzen ) wird dem jeweiligen Klang bei der Abmischung eine Position im Raum zugeordnet. Deswegen heißen sie Phantomschallquellen.
Die für den Zuschauer erfahrbare Position der Schallquelle kommt durch den Abstand der Ohren zu den jeweiligen Lautsprechern zustande. Daher existieren in der Stereophonie und beim Surroundsound sogenannte "sweet spots". Hier erfährt der Zuhörer die Klänge räumlich so wie der Toningenieur sich das gewünscht hat. Verlässt der Hörer diese Position, erlischt der räumliche Eindruck. Die Phantomquellen wandern in die eine oder andere Richtung, da sich Laufzeiten und auch Pegeldifferenzen ändern. Stereophonie und Surround nutzen eine geringe Anzahl von Lautsprechern (2 oder 5 oder auch 7). Über die Positionierung von Phantomschallquellen ensteht ein räumlicher Eindruck.
Was passiert aber wirklich, wenn Sie in einem Konzert sitzen oder durch ein Kaufhaus gehen ? Viele verschiedene Klänge und Geräusche werden von verschiedenen Quellen verursacht. Diese Töne überlagern sich und bilden ein Schallfeld, welches Sie umgibt. Ein Schallfeld ist also ein Raum, der mit Schall gefüllt ist. Grob gesagt.
Die Wellenfeldsynthese bildet dieses Schallfeld ab. Es entspricht dem Schallfeld, das endstünde wenn die Klänge und Geräusche tatsächlich vorhanden wären. Physikalisch exakt. Ohne Zuhilfenahme von Laufzeitdifferenzen und Pegelunterschieden.
Und so funktioniert es:
Um dieses Schallfeld zu erzeugen wird eine große Menge an Lautsprechern benutzt. Diese Lautprecher bilden einen Rahmen, der den Zuhörerraum umgibt. Man benutzt, je nach Größe des Raumes, 48 bis 192 Lautsprecher. Bei der Synthese geht man vom Huygenschen Prinzip aus. Stellen Sie sich eine Schallquelle vor, welche wie in Bild 1) kreisförmig in alle Richtungen strahlt. Nach Huygen kann man eine große Welle auch als Überlagerung vieler kleiner Wellen darstellen. Diese kleinen Wellen werden in Bild 1) von den Lautsprechern erzeugt. Damit kann man die originale Schallquelle weglassen. Die Lautsprecher reproduzieren den Schall der ursprünglichen Quelle vollständig. Auch eine Anordnung wie in Bild 2) ist möglich. Hierbei müssen die Lautsprecher, entsprechend der ursprünglichen Wellenfront, verzögerte und/ oder pegelärmere Signale erhalten.
Mit der Anordnung in Bild 2) können Sie sich vielleicht eher eine "Rahmung" des Hörerraumes vorstellen.
Möchte man einen Raum mit einem vollständigen Schallfeld füllen, muss man diesen Raum komplett (auch Boden und Decke) mit Lautsprechern pflastern. In der Realität begnügt man sich mit 2 Koordinaten. Diese beschreiben dann die Ebene in Ohrhöhe und es entsteht besagter Rahmen. Alle Lautsprecher erhalten anteilig für die jeweilige ursprüngliche Quelle ihr Stückchen Welle. Das strahlen sie in dem Raum ab. Damit ergeben alle Lautsprecher zusammen das Wellen- oder Schallfeld.
Es wird ein tatsächlicher Klangraum geschaffen. Bei der Abbildung entsteht die komplette akustische Beschreibung eines Raumes - vergleichbar mit der dreidimensionalen Holographie im visuellen Bereich. Zum Beispiel ist es möglich, Schallquellen im Zuhörraum zu platzieren, welche akustisch eindeutig vor den Lautsprechern zu lokalisieren sind. Sie sind nicht mehr an Phantomquellen gebunden. Der sweet spot entfällt.
Was bedeutet das ? Sie können sich frei im Hörraum bewegen ohne daß der räumliche Klang verloren geht. Steht der Sänger vorne links, bleibt er auch dort, egal wo Sie sich im Raum befinden. Ganz klar, daß er auch lauter wird, wenn Sie sich näher an ihn heranbewegen.
Sie können sich durch die Wellenfeldsynthese direkt in das akustische Geschehen hineinbewegen und müssen nicht mehr davorstehen wie bei Stereo.Sie sind nicht festgenagelt am sweet spot im 5.1-Raum.
Damit entfällt das Paradigma "der Rezipient schaut nach vorn". Es gibt kein "vorn" mehr. Sie sind mitten IM Geschehen. Die Dinge umgeben Sie. Möchten Sie etwas genauer hören dann gehen Sie einfach näher heran. Oder Sie drehen sich hin, wie Sie es gewohnt sind.
Weiterhin könnten Sie sich durch ein Orchester akustisch hindurchbewegen- während es spielt!
Es würde im Kino große Vorteile bringen, da jeder Sitz den räumlich korrekten Sound verpaßt bekommt.
Weiterhin können Sie den Raum, in dem der Lautsprecherrahmen aufgebaut wird, einmessen und seine akustischen Parameter bestimmen ( Nachhallzeit etc). Diese können dem System zur Verfügung gestellt werden, so daß der reale Raum durch Kompensation ausgeschaltet wird. Damit wird das Klangerlebnis unabhängig vom Wiedergaberaum.
Umgedreht geht das natürlich auch. Sie können sich so das echte Raumklangerlebnis einer Westminster Abbey oder einer Berliner Philarmonie ins Zimmer holen.
Die Wellenfeldsynthese wurde 1988 von A.J. Berkhout an der TU Delft in den Niederlanden entwickelt. Als ein sehr junges Forschungsgebiet gibt es noch keine marktreifen Anwendungen. Jedoch laufen verschiedene Forschungsprogramme, welche die Möglichkeiten der Wellenfeldsynthese zur Raumklanggestaltung ausloten.
Die aktuelle Benutzeroberfläche der Forschungssoftware am FraunhoferInstitut zur Platzierung der Schallquellen
Andreas Niemand, 13.3.2002
Bilder: (1,2) A.Niemand, (3,4) mit freundlicher Genehmigung vom Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltung, Ilmenau